„Ich sehe die Verjüngung des Radsports kritisch“.

Der Oberösterreicher Michael Gogl (28) ist seit 2016 Profi in der WorldTour. Saxo Tinkoff, Trek Segafredo, NTT und Qhubeka Assos sind seine bisherigen Stationen. 2022 wird er das Trikot von Alpecin Fenix überstreifen und dort nicht nur auf den großen Star Mathieu van der Poel, sondern auch auf seinen oberösterreichischen Kollegen Tobias Bayer treffen. Die Strade Bianche hat er nach einem neunten und einem siebten Platz lieben gelernt, das Ende seines formaligen Teams Qhubeka Assos bedauert er sehr. Lesen Sie, warum Michael Gogl den Jugendtrend der WorldTour kritisch sieht, warum eine Beteiligung der Teams an TV- und Marketingrechten nur fair wäre und warum ein Wohnungsumzug ähnlich fordernd wie eine Grand Tour sein kann.

 

Thomas Pupp: Lieber Michael, schön, dass du Zeit für uns gefunden hast, obwohl du dich gerade in einer unheimlich schweren und anspruchsvollen Rundfahrt befindest, du bist nämlich beim Übersiedeln.

Michael Gogl: Ja, genau, das ist wirklich eine sehr anstrengende Sache. Jeder, der schon einmal gesiedelt ist, wird wissen, wovon ich spreche. Ich bin froh, wenn es demnächst erledigt ist.

Nachdem ich annehme, dass du die drei großen Rundfahrten, also Tour de France, Giro d`Italia und die Vuelta, die du alle drei bestritten hast, auf einer Skala von 1 bis 10 wahrscheinlich bei 9 oder 10 einordnen würdest, wo liegt denn da für dich die Siedlerei?

Na ja, ganz vergleichen kann man das nicht, weil bei den großen Rundfahrten komme ich an mein Ausdauerlimit und beim Siedeln komme ich mit dem ganzen Heben regelmäßig an mein Bandscheibenlimit. Aber auf dieser Skala von 1 bis 10 sind wir bei einer Sieben.

Du siedelst aber nicht alleine, oder?

Da liegst du richtig. Ich bin mit meiner Freundin Susi Walli in diese Wohnung gezogen. Die Leichtathletikfreunde kennen die Susi als 400-Meter-Läuferin, über diese Distanz war sie auch bei den Olympischen Spielen in Tokio am Start. Die Wohnung ist angenehm groß, aber Familienplanung muss noch warten. Wir verfolgen beide derzeit noch intensiv unsere sportlichen Karrieren.

Apropos Laufen, viele Radprofis, wie beispielsweise Wout Van Aert, Thomas Pidcock oder Andre Greipel gehen im Winter regelmäßig laufen. Läufst du auch in der Übergangszeit?

Ich bin früher in der Vorbereitungsphase mehr gelaufen, möchte das aber gerne wieder forcieren. Mit meinem Nachbarn Felix Großschartner habe ich dafür auch eine Trainingstruppe gestartet.

Michael, du hast ein neues Team, Alpecin Fenix, bist nun Teamkollege von Superstar Mathieu von der Poel und auch von einem dir wahrscheinlich gut bekannten jungen Österreicher, der bis vor einem Jahr noch bei uns im Tirol KTM Team gefahren ist, Tobias Bayer. Was war der Grund für deinen Wechsel und welche Aufgaben wirst du im neuen Team bekleiden?

„Alpecin ist ein absolutes Topteam und mit Mathieu haben wir einen Sieggaranten für viele Rennen.“

Ich bin extrem happy über den Wechsel, auch wenn ich es sehr schade finde, dass mein altes Team Qhubeka Assos zusperren musste. Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, auch mit vielen Freiheiten. Alpecin ist ein absolutes Topteam und mit Mathieu haben wir einen Sieggaranten für viele Rennen. Ich wurde verpflichtet, um den Kader zu verstärken und ihm auch mehr Tiefe zu geben. Natürlich wird es auch Rennen geben, wo ich meine Chancen bekomme. Man wird einfach sehen, wie dann alles läuft.

Qhubeka hat zugesperrt. Wie geht es denn einem Fahrer, wenn sein Team in Schwierigkeiten steckt und die Zukunft ungewiss ist?

Natürlich nicht gut. Der Radsport ist leider sehr instabil, was das Sponsoring betrifft. Die Teams sind ja großteils davon abhängig. Und wenn dann ein Sponsor entscheidet, dass er aufhören will, dann steht so ein Team schnell auf sehr wackeligen Beinen.

Qhubeka war ja auch das einzige afrikanische WordTour Team und jetzt sind die UCI-Straßen Weltmeisterschaften für 2025 an Ruanda vergeben worden und damit auch zum ersten Mal an Afrika. Eigentlich doppelt schade, oder?

Ja, definitiv. Ich habe mich mit meinen afrikanischen Kollegen über die Weltmeisterschaften in Ruanda unterhalten und alle haben sie gesagt, dass das wirklich phänomenal werden wird. Wir kennen ja die Fotos von der Tour von Ruanda, mit den Massen von Zuschauern, bei der WM sollen es dann noch mehr werden.

Du hast die Finanzierung eines Radteams als sehr fragil bezeichnet, in sehr großer Abhängigkeit zu einem Sponsor. Hast du Verbesserungsvorschläge?

Die Teams benötigen eine stärkere Beteiligung an den TV- und Marketinggeldern.

Du bist die letzte Ausgabe von Paris-Roubaix gefahren, die mit Sicherheit als episches Rennen in die Geschichte eingehen wird. Wie ist es dir denn ergangen bei diesen Verhältnissen?

Es war wirklich extrem. Leider habe ich das Rennen nicht beenden können. Ich bin in den ersten Sektoren zu Boden gegangen und das in dem Moment, wo ich mir gedacht habe, das könnte heute etwas werden. Ich hatte gute Beine, fühlte mich gut und es hat gerade begonnen, Spaß zu machen. Dann hat es mir das Vorderrad weggerissen und ich lag auch schon auf dem Rücken.

Neben der Susi hast du eine zweite große Liebe.

Ja, sportlich gesehen definitiv das Rennen Strade Bianche.

„Und dann kommt da dieses Knallerrennen, wo du deine Form auf den Schotterpisten in der Toskana liegen lassen kannst, weil es dich zerlegt.“

Du warst dort 2020 Neunter und 2021 Sechster.

Bei meiner ersten Teilnahme regnete es sehr stark und ich bin im ersten Sektor extrem schwer gestürzt. Weil ich mich aber akribisch auf das Rennen vorbereitet hatte, bin ich es dann auch fertig gefahren, nur leider außerhalb des Zeitlimits. 2021 dann hat mich mein sportlicher Leiter überreden müssen zu fahren, ich hatte noch diese schlechten Erinnerungen im Kopf. Nach der Coronapause war das am 1. August das erste Rennen und ich habe mir gedacht, okay, jetzt bereite ich mich noch vor wie ein Wahnsinniger auf den zweiten Teil der Saison und dann kommt da dieses Knallerrennen, wo du deine Form auf den Schotterpisten in der Toskana liegen lassen kannst, weil es dich zerlegt. Ich habe mich aber dann Gott sei Dank für den Start entschieden und wurde Neunter, heuer Sechster. Also ich habe die anfängliche Hassliebe in Liebe umgewandelt.

Ja, das hat man gesehen. Was ist denn für dich das Besondere an diesem Rennen?

Na ja, das ist ganz witzig, weil bei mir ist es jetzt heuer gerannt wie am Schnürchen. Ich habe das Rennen auch noch im Kopf. Das war schon fast kitschig, wie leicht mir das gefallen ist, das Ganze. Natürlich, verstehe mich nicht falsch, ich war völlig am Limit, aber irgendwie habe ich in dem Rennen die letzten zwei Mal einfach immer das Richtige gemacht und alles perfekt eingeschätzt. 2020 ist es mir noch nicht ganz gelungen, bei den Besten dabei zu bleiben, da bin ich im letzten langen Sektor abgehängt worden, 2021 bin ich aber mit der Topgruppe durchgekommen. Man braucht einiges für das Rennen, technisch muss man gut sein, der Schotter ist lose, Risikobereitschaft gehört natürlich auch dazu, weil wir donnern da zum Teil mit 60, 70 Sachen den Schotter runter, was jetzt nicht ganz ohne ist, aber wenn‘s läuft, dann läuft‘s und das war bei mir Gott sei Dank zweimal hintereinander der Fall.

„Ich war völlig am Limit, aber irgendwie habe ich in dem Rennen die letzten zwei Mal einfach immer das Richige gemacht.“

Du bist Paris-Roubaix gefahren und die Flandern Rundfahrt, die Ronde, beide mit diesem berühmten Kopfsteinpflaster. Wie sind diese Rennen mit der Strade Bianche vergleichbar?

Das ist eigentlich nicht ganz so gut vergleichbar. Bei der Ronde und bei Paris-Roubaix entscheidet es sich meiner Meinung nach gar nicht so sehr auf dem Pflaster, sondern kurz vorher, also auf welcher Position du in die Pflaster-Sektoren hineinfährst. Hast du die Beine deines Lebens, dann kannst du es auch von der Position 30 vielleicht noch nach vorne in die Spitzengruppe schaffen. Falls nicht, kannst du nur zuschauen und das Rennen ist vorbei. Strade Bianche ist topographisch noch schwieriger und es kommt mehr auf die Physis an.

Physisch herausfordernder, obwohl das Rennen ja doch um einige Kilometer kürzer ist als die Ronde und Paris-Roubaix?

„Strade Bianche ist topographisch noch schwieriger (als Paris-Roubaix und die Ronde) und es kommt mehr auf die Physis an.“

Das Finale bei einer Flandern Rundfahrt geht so 150 km vor dem Ziel los, man hat also so 110 km Zeit zum Einrollen. Die Strade Bianche wird von Anfang an sehr hart gefahren.

Wie schaut es mit dem Material aus, Reifen, Reifenbreite, wie fahrt ihr da am Schotter?

Ich bin ein Tubeless Setup gefahren, mit einem Reifendruck von rund 4 Bar. Für mehr Komfort und eine höhere Pannensicherheit.

Und die Reifenbreite?

Ein 28er Reifen. Den haben wir auch bei Paris-Roubaix verwendet, aber mit noch weniger Druck, so 3,6 bis 3,8 Bar. Gerade wegen des Regens wollten wir noch ein bisschen mehr Sicherheit haben, bei meinem Fahrrad hat es leider nicht ganz funktioniert.

Michael, in unserem Podcast spielen wir die Lieblingsmusik unserer Gäste. Auch du hast uns drei Titel mitgebracht: The Bloodhound Gang – I´m The Least You Could Do, Left Boy – Das Ist Liebe und Everlast – Lonely Road. Wie wichtig ist dir Musik?

Sehr wichtig. Ich höre sehr gerne Musik, sie motiviert mich im Training und auch im Alltag. Bei der Bloodhound Gang zum Beispiel, wenn mich keiner sieht, fange ich automatisch an Schlagzeug zu spielen. Ich finde „I´m The Least You Could Do“ einfach top und höre das gerne auch vor den Rennen.

Du spielst Schlagzeug?

Nein, kennst du Luftschlagzeug?

Ich kenne nur die Luftgitarre.

Und ich spiele Luftschlagzeug.

„Um die einsame Straße kommt man einfach nicht herum, wenn du Erfolg haben willst im Radsport.“

Stimmt es, dass du im Team-Bus immer den Platz des DJ beanspruchst?

Der wird mir sogar freudig übergeben. Und ob sie wollen oder nicht, meine Teamkollegen müssen hören, was ich hören will, versuche aber schon, den Geschmack halbwegs zu treffen. Wir sind ja eine sehr internationale Truppe. Ab und zu kann ich es mir aber nicht verkneifen, einen österreichischen Hit zu spielen. Dann bebt der Bus.

Everlast besingt eine „Lonely Road“. Hast du für dich persönlich auch eine einsame Straße, auf der du gerne unterwegs bist?

Ich habe den Song beim Training gehört. Es ist gerade meine Spotity-Playlist gelaufen und dann ist dieses Lied gekommen und es passt genau. Der Radsport ist mit sehr viel Arbeit verbunden, man schuftet und trainiert sehr viel und oft kommt man sich vor, als ob man auf einer Lonely Road wäre. Ob am Ende etwas dabei herausschaut, wird man erst sehen. Aber um die einsame Straße kommt man einfach nicht herum, wenn du Erfolg haben willst im Radsport.

„Wenn es einmal läuft, dann darf man sich auch einmal die Zeit nehmen, das kurz zu genießen.“

Für viele ist ja der Radsport ein Abbild des Lebens, mit vielen Hochs, aber auch den Tiefs und den Niederlagen, die eben zu einer Lebensgeschichte, zu einer Biographie dazugehören.

Definitiv. Ich habe für mich gelernt, dass im Radsport die Zei , in der wirklich alles aufgeht, sehr rar ist. Sieht man mal von den Ausnahmetalenten ab, mit denen man sich ohnehin nicht unbedingt vergleichen soll. Und wenn es einmal läuft, dann darf man sich auch einmal die Zeit nehmen, das kurz zu genießen.

„In der U23 Anfangsphase war ich noch so weit weg von Gut und Böse.“

Du bist 2015 in unserem Tirol KTM Team gefahren, dann warst du Stagiaire bei Tinkoff und anschließend erfolgte dein Einstieg in die WorldTour erfolgt. Eine klassische „alte“ Radkarriere, von Conti, über Stagiaire in die WorldTour. Jetzt unterschreiben die besten Junioren sofort einen WorldTour-Vertrag und die Jugend scheint die Vormachtstellung im Radsport übernommen zu haben. Wie siehst denn du diese Entwicklung?

Ich sehe das persönlich sehr kritisch und ich weiß, wie hart das Geschäft ist. Es gibt jetzt mit Tadej Pogacar und Remco Evenepoel zwei Riesentalente, die wirklich sofort durch die Decke gegangen sein. Aber jetzt werden auf einmal Junioren mit diesen beiden verglichen und viele U23-Fahrer glauben bereits nach einem Jahr in dieser Kategorie, einen WorldTour-Vertrag unterschreiben zu müssen. In dieser U23 Anfangsphase war ich noch so weit weg von Gut und Böse und bin erst im dritten Jahr wirklich schnell Rad gefahren. Dann war ich auch körperlich so weit, dass es auch funktioniert hat. Jetzt geht aber in diese angesprochene Richtung.

„Nur weil man jetzt noch nicht im besten Junioren-Team fährt und nicht sofort einen WordTour-Vertrag unterschrieben hat, heißt das noch lange nicht, dass man kein Profi werden kann.“

Da werden viele ausbrennen und sich übernehmen in den jungen Jahren, weil sie einfach körperlich noch nicht bereit sind für diese großen Belastungen. Aber vielleicht liege ich auch falsch. Was ich aber damit sagen will, an die Adresse der jungen Fahrer, die jetzt noch Junioren oder erst- oder zweitjährige U23-Fahrer sind: Es ist noch genügend Zeit, macht euch keinen Stress, arbeitet locker und zielstrebig eurem Ziel entgegen und ihr werdet eventuell den Sprung schaffen. Nur weil man jetzt noch nicht im besten Junioren-Team fährt und nicht sofort einen WordTour-Vertrag unterschrieben hat, heißt das noch lange nicht, dass man kein Profi werden kann.

Lieber Michael, Danke für das Gespräch.

 

In unserem Ride with passion Podcast geben unsere Gäste auch musikalisch den Ton an. Michael Gogl hatte diese drei Lieblingslieder im Gepäck und es gibt sie hier auch zum Anhören:

 

Dieses Interview ist eine gekürzte Fassung der Episode No. 18 unseres Podcasts „Ride with passion“ mit Michael Gogl.